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Künstlergespräch


anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Was ist wirklich« im Kunstverein Schloss Tiengen 


zwischen Bernd Salfner, Kurator der Ausstellung, und Catharina de Rijke



Insel Waterland VII (Zyklus Inseln I - XII), 2016,
Pigmente, Champagnerkreide und Acryl auf Segeltuch, 80 x 120 cm





»Ich wollte alles andere, als den Betrachter in seinen Erwartungen an die Kunst, als eine beschönigende Reproduktion der Wirklichkeit, bestätigen.«




Frau de Rijke, Sie sind eine Niederländerin. Wo sind Sie geboren?


In den Niederlanden, und zwar nah am Meer. Meine Familie sind Inselbewohner, sie stammen aus Zeeland, der südwestlichsten Provinz der Niederlande, die zu einem großen Teil vom Wasser umspült wird. Die Nähe zum Wasser hat mich schon mein Leben lang begleitet – ist auch fast nicht zu vermeiden, da die Niederlande fast zu 30% unter dem Meeresspiegel liegen. Im Jahr 1989 bin ich dann den Rhein hochgeschwommen bis nach Köln. Also gegen den Strom.

Kurze Nachfrage: Niederländer und Deutsche haben eine nicht durchgängig gute Beziehung in der jüngeren Geschichte gehabt. Wie nehmen Sie das Verhältnis der beiden Nationen war?

Ganz gleich ob es sich um antiweiße, antischwarze, antijüdische oder antideutsche Haltungen handelt – jede Antihaltung muss überdacht werden. Die menschliche Neigung zur Verallgemeinerung, zur Simplifizierung und zur Arbeit mit Stereotypen – psychologische Mechanismen, die man beim Entstehen und Funktionieren von Vorurteilen ausgezeichnet beobachten kann – diese menschliche Neigung spielt immer eine Rolle, wo Urteile über Minderheiten, Völker oder ganze Nationen gefällt werden. Und was meine Wahlheimat und Wohnort betrifft: den Kölner liegt viel am Graben von Löchern. Wir in den Niederlanden konzentrieren uns mehr auf das dichten von Löchern.

Stammen Sie aus einer kunstinteressierten Familie? Wie niederländisch ist Ihre Kunst?

Die existentielle Lust am Malen ist mir mitgegeben. Es gab mehrere Künstler in der Familie. Mit 13 Jahre wurde ich von meiner Cousine mutterseits in Ihr Atelier eingeladen. Sie studierte an der königlichen Akademie der bildenden Künste in Den Haag und ich durfte hier schon meine erste Radierung machen. Das war ein einschneiendes Erlebnis. Auch mein Großvater vaterseits war Maler. Seine Frau sorgte, damals sehr fortschrittlich, für das regelmäßige Einkommen. Niederländisch an meine Kunst ist das ich Niederländerin bin, fühle mich aber als eine Europäerin – nirgendwo und überall Zuhause und ein unstillbares Heimweh und Fernweh. Landschaft ist ein Schwerpunkt in meine Arbeit.

Frau de Rijke, seit wann war Ihnen klar, dass Sie eine Malerin werden wollten? Haben Sie sich von früh an mit Kunst beschäftigt?

Schon ganz früh verspürte ich ein großes Bedürfnis, widersprüchliche Gefühle um zu setzen, Erlebnisse zu sublimieren und meinem Weg zu gehen. Künstlerisch schon infiziert von meiner Familie war der Weg frei. Für meine Beharrlichkeit war ich schon berüchtigt … und immer etwas vor zu haben, weiterzukommen, etwas Neues auszuprobieren, eine Herausforderung anzugehen. Aber auch mich treiben zu lassen. Und zu beobachten und mein großes Bedürfnis allein zu sein mit meinen vielen inneren Stimmen in dem Land von Wasser und Himmel. Die Fähigkeit zu glauben ist unsere entscheidendste Eigenschaft, und sie wird nur durch die Kunst angemessen verwirklicht. Wenn wir dagegen unser Glaubensbedürfnis in einer Ideologie stillen, richten wir nur Unheil an. Es kommt über einen wie eine Erscheinung. Unberechenbar, plötzlich und überraschend. Man erfährt eine Qualität.


»Die Fähigkeit zu glauben ist unsere entscheidendste Eigenschaft, und sie wird nur durch die Kunst angemessen verwirklicht.«



Was bedeutet es für Sie, eine Künstlerin zu sein?

Erinnerungen, Gedanken, Gefühle und Ereignisse greifbar machen, mitteilen, Verwundung in Verwunderung umsetzen. Das Unbewusste und Spirituelle erhält genauso Einzug wie das Tatsächliche und Erinnerte. Transzendenz erfahrbar machen sehe ich für mich als Aufgabe in meiner Kunst. Die Kunst ist die höchste Form von Hoffnung. Es geht um keine Lehre bei einem Kunstwerk. Bilder, die deutbar sind und Sinn enthalten, sind schlechte Bilder. Ein Bild stellt sich dar als das Unübersichtliche, Unlogische, Unsinnige. Es demonstriert die Zahllosigkeit der Aspekte, es nimmt uns unsere Sicherheit, weil es uns die Meinung und den Namen von einem Ding nimmt. Es zeigt uns das Ding in seiner Vieldeutigkeit und Unendlichkeit, die eine Meinung und Ansicht nicht aufkommen lassen.

Sie haben sich sehr intensiv bildnerisch mit der Katastrophe von Fukushima auseinandergesetzt – einige der Werke sind auch in dieser Ausstellung zu sehen. Sind Sie eine politische Künstlerin?

Ich bin der Meinung, dass alles persönliche auch Politik ist. Ich arbeite an Themen, die mich berühren. Das können mehrere Themen zu gleicher Zeit sein. Mich inspiriert mein persönliches Umfeld, meine Geschichte und meine Reisen, oder Wachstum, Veränderung und Leere. Dort sammle ich Gedanken, Farbräume und Geschichten.

Japan und seine Kultur inspirierten mich schon seit langer Zeit – ihre Malerei, ihre Techniken, die Literatur und Philosophie. Und auf einmal wird dieses Land der Inspiration durch eine unfassbare Katastrophe verwundet. Ein verheerendes Erdbeben und darauffolgende Tsunamis verwüsten nicht nur das Land, sondern führen zu starken Beschädigungen an den Atommeilern von Fukushima. Die Folgen der Katastrophe sind uns allen – wenn nicht sogar persönlich betroffen – durch die Berichterstattung aus der Presse bekannt. In dieser Zeit arbeitete ich an Landschaftsgemälden, nicht als reale Abbilder der landschaftlichen Gegebenheiten, um die Verwüstungen und Verletzungen in Japan zu verstehen. Sie repräsentieren vielmehr meine Vorstellungen und Einfühlung in diese Landschaft. Die Kompositionen können daher eher als landschaftliche Anmutungen betrachtet werden, die an Aspekte von Landschaft erinnern, an Horizonte, Inseln, Schichtungen, Ablagerungen, pflanzlichen Bewuchs oder auch Gebäude „Landschaft“ wird hier zu einer universellen Sprache, die sowohl den Menschen wie auch die ihn umgebende Natur meint.

Meine Inspirationen sind manchmal auch literarischer Art. Zum Beispiel hat Margarethe Yourcenar mit einer ihrer Novellen „Mishima oder die Vision der Leere“ mich lange begleitet. Das Essay behandelt – hier sehr verkürzt dargestellt – den japanischen Dichter Mishima Yukio, der 1970 zunächst mit einer Geiselnahme und schließlich seinem eigenen rituellen Freitod im Hauptquartier der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in Tokyo dem Tenno erneut zu seinem göttlichen Souveränitätsanspruch verhelfen wollte. Mishima hatte sich auf dieses Ziel minutiös vorbereitet, auch auf die Konsequenz des nach Samurai-Tradition ehrenvollen Seppuku – er beherrschte, so Yourcenar, die „Kunst des heilsamen Sterbens“ beziehungsweise „Wie man sich mit dem Tod vertraut macht“. Der Tod wird gleichgesetzt mit der „Leere“, die jedoch positiv besetzt ist. Und genau dieser Aspekt der „Leere“, des Auflösens und Verschwindens macht die Faszination der Geschichte für mich aus: Sehr gut lässt sich dies nachvollziehen anhand der Kompositionen „Mishima oder die Vision der Leere III und XV“.


»Man glaubt, Kunst von Frauen sei feminin, hübsch und dekorativ, aber oft zeigt sich das Gegenteil.«



Ist ihre Kunst weiblich und wie sehen Sie die Stellung der bildenden Künstlerinnen heute im Kulturbetrieb?

Man glaubt, Kunst von Frauen sei feminin, hübsch und dekorativ, aber oft zeigt sich das Gegenteil. Unter anderem weil Künstlerinnen oft freier und unabhängiger von modischen Strömungen arbeiten. "Weibliche Kunst“ ist "extremer" und "radikaler" als vermutet – von Cindy Sherman zu Rosemarie Trockel, von Marlene Dumas zu Marina Abramovic und von Kiki Smith bis zu Louise Bourgeois. Die Frauen haben sich auf breiter Front durchgesetzt. Mit List, Lust und Ironie sägen sie am Ast, auf dem im Kunstbetrieb die Männer sitzen. Es ist auch schon mehrmals passiert, dass in meinen Ausstellungen nach dem „Maler“ gefragt wurde…

Gibt es Malerinnen oder Maler, die Sie besonders beeindruckt oder beeinflusst haben?

Louise Bourgeois. Ein Grande Dame der Kunst. Ihr Potential, Ihren Mut und Hartnäckigkeit bewundere ich. Johannis Vermeer, ein sehr moderner Maler uit onze „gouden eeuw“, das Licht und die Farben leuchten immer noch. Eduardo Chillida und seinen subtil kompakten Steinwelten und „Windfänger“ und natürlich Cindy Sherman mit Ihren Verwandlungskünsten.

Sie waren in Amerika. Welche Begegnungen und Gespräche dort sind Ihnen besonders gut in Erinnerung geblieben?

Die fantastische und inspirierende Begegnung mit dem Choreografen des Nederlands Dans Theater, Paul Lightfoot. Es gab mehrere Begegnungen, die mich sehr bewegt haben. Ich habe dem Nederlands Dans Theater eine Werkserie gewidmet, die sie hier in der Ausstellung anschauen können. Die Begegnung und Zusammenarbeit mit Eric Lee, ein Tänzer aus Taiwan, der zu meiner Ausstellung in New York eine Choreographie geschrieben und getanzt hat. Sie können hier in der Ausstellung die Aufnahme sehen. Und der fantastische Ausstellungsort – Tenri Gallery in New York.

Welche Projekte beschäftigen Sie zurzeit? Woran arbeiten Sie gerade?

An der weiteren Widmung an das Nederlands Danstheater. Und es stehen mehrere Ausstellungen in Deutschland an, zum Beispiel im Schloss Eulenbroich in Rösrath bei Köln, Kunstverein Würzburg, Forum für Kunst, Herzogenrath. In Portugal laufen Ausstellungen in der Algarve. Im Mai 2020 ist eine Ausstellung in der Schweiz geplant.
Eine ständige Vertretung meine Arbeiten vertritt die Galerie Goyert in Köln (Neumarkt).




Mark