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Orient


Galerie Kurfürstliches Gärtnerhaus, Bonn
2008


Dr. Romana Breuer



Quarzazate, 2008,
Acryl und Champagnerkreide auf Leinwand, 100 x 130 cm





Reisen ist für die meisten heute selbstverständlich geworden. Selbst große Distanzen können vergleichsweise unproblematisch überbrückt werden, unsere Welt ist damit kleiner und handhabbarer geworden. Aber, kennen wir sie wirklich? Unsere Welt? Im Duden findet sich ein alter, heute veralteter Begriff: die Apodemik. Seit der Renaissance bezeichnet dieser Begriff Wissenschaft, Theorie und Praxis des Reisens sowie das Erstellen der dazugehörigen Reisebeschreibungen. Die ars apodemica ist also die Kunst des Reisens. Und genau diese schöne Bezeichnung schien mir der richtige Ansatz, um zu Ihnen über die jüngste Serie von Gemälden von Catharina de Rijke zu sprechen.

Die Bilder entstanden als Reflexion der Eindrücke einer Reise durch Marokko. Sie sind je­doch keine Reiseaufzeichnungen – die Eindrücke hatten Zeit sich abzulagern und zu verdichten. Im malerischen Prozess durchlebte die Künstlerin die Reise erneut, in jedem einzelnen Bild ereignet sich Erinnerung, verwandelt sich die Vergangenheit in die Gegenwart des Bildes. Damit besitzen die Werke eine Art Zeitmaschinen-Effekt, der genau umgekehrt funktioniert wie beispielsweise bei einer Fotografie. Ein Foto entsteht im Moment des Auslösens, und das Fotografierte rutscht genau dann komplett in die Vergangenheit. Die Gemälde von Catharina de Rijke holen Vergangenes wieder hervor, allerdings jedoch nicht im Sinne eines Abbildes. Und mehr noch: Sie bringen Farben und Formen erneut zum Vorschein, lassen an Geräusche und Gerüche denken. Sie erzählen vom Staunen und Befremden oder von Reichtum und Armut.


»Die Gemälde von Catharina de Rijke holen Vergangenes wieder hervor (...)«



Dies sind keine bloßen Erinnerungsbilder, die nur im privaten Kreis interessieren, wie z.B. die meisten Privatfotos. Die Werke entstehen zwar aus persönlicher Erinnerung, fließen jedoch durch den oft schwierigen Filter der Komposition: Jede Farbe, jede Setzung auf der Leinwand verändert die Fläche, muss ausgewogen oder kontrastiert werden, bis eine Konzentration oder Dichte erzeugt ist, die der künstlerischen Idee entspricht. Und das betrifft. Überpersönlich.

Begleiten Sie mich nun auf einer weiteren allerdings gedanklichen Reise in den Orient. Einige Literaten, Vertreter der ars apodemica,werden mit dabei sein: Marokko, das westlichste Land der drei Maghreb-Staaten, liegt nur durch die Straße von Gibraltar vom europäischen Kontinent entfernt, erscheint uns also sehr nah. Trotzdem ist es ein fernes Land, das sich in Kultur, Landschaft, Religion und Wirtschaft komplett von unserem üblichen Erfahrungsbereich unterscheidet. Dies mag einer der Gründe sein, dass eine hohe Anzahl an Künstlern und Schriftstellern immer wieder der Faszination des so eigentümlich nahen Fremden erlegen sind.

Was genau ist denn nun so fremdartig? Da sind z.B. die Innenstädte. Antoine de Saint-Exupery schreibt 1921 in einem Brief an seine Mutter: „Gestern war ich in Casablanca. Ich führte zunächst meine Einsamkeit in den arabischen Straßen spazieren, wo sie weniger bedrückt, weil nur einer auf einmal hindurch kann." Hugo von Hofmannsthai hält 1925 beim Besuch der Stadt Fes fest: „Und so bin ich denn nach so wenigen Schritten mitten drin in dieser Stadt; wie sehr ist man und wie schnell mitten drin in ihr; wie schnell umgibt sie einen so vielgehäusig und geschlossen und ausgangslos, als wäre man ins Innere eines Granatapfels geraten.“

Innerhalb der Gemälde-Serie von Catharina de Rijke tragen einige Werke die Namen von Städten oder Ortschaften: Taroudannt, Tamegroute, Quarzazate und Zagora. Obwohl jede Komposition sich deutlich von der anderen unterscheidet, mag man die von den Literaten beschriebene Enge, das Verwinkelte und Geschlossene wiedererkennen. ln dem Bild Quar­ zazate schieben sich beige und braune Flächen über- und gegeneinander, versperrt ein Weiß die Sicht. ln unregelmäßigen Trapezen ragen in der linken Bildhälfte zwei orangefarbene Säulen empor- kaum ein Blau verrät, dass doch irgendwo auch der Himmel sein muss. ln Taroudannterspäht man ein Blau, doch nicht nur oben, es scheint auch herabgerutscht, irgendwo zwischen dem Fließen und Schieben, den kippenden Blöcken und waghalsigen Erkern aus Farbe. Tarnegraute überrascht mit vor- und zurückspringenden verschachtelten Flächen. Entscheiden Sie: Ist das dunkle Braun im linken Bildbereich wirklich die oberste Ebene? Liegt das Weiß rechts vor oder hinter den querlaufenden Zackenbändern?  Und woher kommt eigentlich das dunkle Ocker? ln Zagara schließlich wird es kleinteilig: Bögen und Quader, Bänder und Balken aus Ocker, Umbra, Purpur, Weiß und Blau wetteifern innerhalb der Komposition.

Bei all diesen Beobachtungen bewahren Einzelphänomene wie Zackenbänder oder Rund­ bögen, Lehm- oder Sandfarben den Eindruck einer fremdartigen Architektur. Und auch die Technik- mit Spachteln statt Pinseln aufgetragen- spielt bei dem Eindruck des, Gebauten' eine wichtige Rolle. Das annähernd quadratische Werk Sahn (= Innenhof) bestätigt im Titel diesen Eindruck. Traditionelle arabische Häuser sind um einen Innenhof angeordnet- dies betrifft sowohl Sakralbauten als auch Paläste und einfache Wohnhäuser.




Sahn (Innenhof), 2008,
Acryl auf Leinwand, 120 x 120 cm




Der in Fes geborene Schriftsteller Tahar Ben Jelloun beschreibt 1981 seine Vaterstadt mit: „Eine Stadt, welche das Werk der Zeit hinuntergeschluckt, den Schleier über den Stein ge­breitet und die Sonne nach Süden verwiesen hat."

Und genau diesen Schleier gemeinsam mit der Abwesenheit einer wie auch immer gearteten Lichtquelle meint man bei Sahn zu verspüren. Tritt man nun von dem Lichthof wieder ins Innere eines Gebäudes, so findet man sich beispielsweise in einer Kasbah wieder, wie der gleichnamige Gemäldetitel verheißt. Eine Kasbah in Marokko kann entweder eine Burganlage innerhalb der Altstadt, der Medina, sein, oder aber eine Großfamilienburg in Lehmbau­ weise, die schachbrettartig erweitert werden konnte und nach außen stets eine wehrhafte Front bietet. Die Kasbah von Catharina de Rijke lässt eine dieser Sippenburgen assoziieren, die z.T. aus über 120 Einzelhäusern bestehen. Das Gemälde erscheint wie ein Ausschnitt aus einem riesigen Gesamtgebilde oder wie ein Blick durch eine Lupe, der über eine Kartographie wandert.

Nun von den Innenstädten nach außen: Die Komposition "Vallee du Draa" besticht durch ein vielgliedriges Umeinander von Ocker, Beige, Grün und Blau, hie und da von einem Schwarz gebremst. An einem Abend im März 1925 auf einem der flachen Hausdächer sitzend schreibt Hugo von Hofmannsthal: „Alles aber auch um uns sah in diesem wunderbaren Licht aus wie gespiegelt. Die Häuser uns zu Füßen, die hohen gelbroten Mauern drüben in Rabat, Tiere und Menschen am Ufer des Flusses, alles war völlig entkörpert. Die schmale Wolke in der Gestalt eines Fisches glühte purpurviolett. Ein Starenzug flog von ihr aus gegen Osten hin, und dort ging das Türkisblau in ein zartes Grün über. Das Ferne schien sehr nahe - das Nahe ungreifbar vergeistigt."

Das Vallee du Draa gehört zu den zauberhaftesten Gegenden Marokkos, es ist ein Flusstal mit Millionen von Palmen und sechs hintereinander gelegenen Großoasen. Die malerische Umsetzung der Erfahrung des Valee du Draa mutet zwiespältig an: Da ist zunächst dieses überraschende und zurückhaltende, gleichwohl dominante Grün, eingebet­ tet und umlagert von Ocker und Blau. Die Farben jedoch vibrieren, der Farbauftrag reißt ab und setzt erneut an. Schönheit kann trügen: Roland Barthes beschreibt 1968, „Gärten von Chella: Ein hochgewachsener Jüngling mit glatten Haaren, ganz weiß gekleidet, mit Stiefel­ ehen unter weißen Jeans, in Begleitung seiner beiden verschleierten Schwestern, betrachtet mich lange und spuckt aus: Ablehnung oder Zufall?”.

Das Zwiespältige, Gegensätzliche und trotzdem Gleichzeitige ist eine der Grunderfahrungen dieser Reise. Am Deutlichsten tritt es hervor in zwei Gemälden: Khaima und Tempete du sable. Während Khaima nicht nur Gegenständliches assoziieren lässt, sondern tatsächlich als einzig annähernd figürliche Arbeit innerhalb der Serie hervortritt, verkörpert Tempete du sable ein vollkommen abstraktes Farbereignis. Inhaltlich gehören die Kompositionen jedoch zusammen: Das dramatische, ja, existentielle Erlebnis eines Sandsturms in der Wüste und die ungewisse Einkehr in einem Nomadenzelt bedingen die unterschiedliche Bildsprache: Sand, der überall zuhauf eindringt, die ungewohnte Lautstärke des Sturms in unwirtlicher Gegend, dagegen die unnatürliche Stille im Zelt unter dicken Stoffbahnen, das Warten, die Dunkelheit... Was ist wirklich? ln Khaima teilen sich die plastischen Farbbahnen und öffnen sich zu lichter Farbigkeit.

Baraka, ein großes Querformat,  vereint die Positionen: Zweidrittel der Bildfläche arrangieren sich um zwei- und dreigliedrige Farbbahn-Konstellationen, die im Zusammenspiel mit nahezu weißen Flächen und blauen Sprengseln wie Tore in eine andere Sphäre wirken. Rechts markiert ein linearer Ausbruch durch eine grau angelegte Fläche eine Beruhigung. Der Titel, Baraka, verweist auf göttliche Segenskraft oder Segensmacht im islamischen Glauben, die zum Zwecke der Abwehr eines Schadens auf den Menschen übergehen kann.

Die Komposition Orient fasst zusammen: die schrundigen, an Sand erinnernden Oberflächen, die merkwürdigen aufrechten Trapezsäulen, die an die knorrigen Palmenstämme denken lassen, das auffällige Rautenmuster, das sich wie aus dem Nichts im Vordergrund zusammenschließt und dabei sowohl Reminiszenzen  an marokkanische  Architektur wie auch Ornament auf Teppichen und Keramikerzeugnissen  zulässt. Die Faszination Orient beschreibt auch Hugo von Hofmannsthai großartig. ln „Das Gespräch in Saleh“, 1925, heißt es: „Der Fleck Erde dort, und das Verschwundene - das Geheimnis der Zeiten (...) dies Verschwundene alles, auch im Wort nur geisterhaft Gegenwärtige, und das, was noch dort war, die Einmaligkeit des Ortes und der Stunde, die Kürze des Lebens, die Weft, die Fremdheit - und dies alles bewegte sich in mir und hob mich fast aus mir selber."

Die ars apodemica, die Kunst des Reisens, meint Reisen in unmittelbarer Erfahrung – nicht das Sich-Aufhalten in eingezäunten Touristenburgen, in denen der eigentliche Ort des Aufenthalts zur Nebensache wird. Indiesem Sinne ist die heute beginnende Ausstellung aus dem Euvre von Catharine de Rijke im besten Sinne eine Wiederbelebung der Apodemik: Anleitung zum Reisen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.*




Marokko, Fremdenführer im Atlasgebirge, 2008,
Tusche auf Papier, 90 x 70 cm




*Nachtrag:
Am Ende unserer Vorgespräche zeigte mir Catharina de Rijke spontan ihre Zeichnungen, die im Nachhall der Marokko-Reise entstanden sind: Großformatige Tuschezeichnungen von wunderbarer Qualität, die, anders als die meisten Gemälde, figürlich sind. Wie Monolithe erscheinende verschleierte Frauen vor bergiger Kulisse, ein verhangener Radfahrer, dessen dürres Bein als Stütze auf der Straße dient, ein Sitzender, dessen Motivation zu Sitzen im alleinigen Verharren erscheint. Alles mit sicherer Hand festgehalten und gestaltet. Dies war einer der schönsten Momente, seit ich Catharina kenne.




Mark