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(T)Raumlandschaften – gemalte Assemblagen


Herz-Jesu-Kirche, Leverkusen
2005


Romana Rebbelmund



(T)Raumlandschaften VI, 2005, Acryl auf Segeltuch, 150 x 300 cm





Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,

der deutsche Literaturkritiker und Essayist Walter Benjamin gab 1936 eine schöne Definition des Begriffs der Aura. Er beschrieb „Aura“ als „einmalige Ferne, so nah sie sein mag". Eine „nahe ferne"? Was bedeutet das? Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Stellen Sie sich vor, Sie ständen auf dem Gipfel eines hohen Berges und erblickten rundum ein atemberaubendes Panorama. Obwohl Sie es erblicken, können Sie es nicht im wörtlichen Sinne greifen, geschweige denn festhalten. Genau das ist die angesprochene „nahe ferne", genau das meint der Begriff „Aura“. Mit dem Paradoxon der „nahen ferne" spricht Benjamin aber auch aus, dass etwas Unnahbares bzw. nicht Erklärbares mit einer Aura verbunden ist. Und eben dies ist der spirituelle Impuls, der von auratischen Erlebnissen ausgeht.

Das Empfinden einer Aura bleibt jedoch nicht auf Naturerlebnisse beschränkt – Menschen, Kunstwerke und Räume besitzen eine Aura. Catharina de Rijke stellt in der heute beginnenden Ausstellung hier in der Herz-Jesu Kirche in Wiesdorf erstmals ihre fünfteilige Serie der (T)Raumlandschaften aus, zu der sie sich hier, im Innenraum der Herz Jesu Kirche, inspirieren ließ. Einern Raum mit Aura. Betritt ein Besucher den Kirchenraum außerhalb der Gottesdienstfeiern, so umfängt ihn eine atmende Stille in der lichten Weite des 60 Meter langen Hauptschiffs. Subtil und dennoch effektvoll kontrastieren die grau gefassten, rhythmisierenden Stelenbänder des Chores das kühle weiß des Kirchenschiffs, das durch hoch aufragende, in sanftem Bogen auslaufende Fensterpaare durchlichtet ist. In diesem Kirchenraum scheint der trubelige Alltag, der sich direkt vor der Kirchentür abspielt, wie angehalten oder wie ausgeschlossen. Tatsächlich aber bringt der Besucher genau diesen Alltag durch seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse des Tages, des Jahres und des Lebens mit in diesen Raum der Stille. Außenwelt und Innenwelt verschränken sich.

Catharina de Rijke nennt ihre Gemäldeserie (T)Raumlandschaften, eine Serie, die im für Landschaftsmalerei typischen Querformat angelegt ist, aber allein durch die monumentale Breite des Einzelwerkes von 3 Metern über das übliche Kabinettstück weit hinausgeht. Landschaftsmalerei im weitesten Sinne gehört zu ihren bevorzugten Sujets. Innerhalb ihres umfangreichen und vielschichtigen Oeuvres baut die Künstlerin das Metathema konsequent aus: Es gibt auch Körperlandschaften und – im ebenfalls weitesten Sinne – Seelenlandschaften. In vielen dieser Landschaftskompositionen spielt die Materialität der Farbe eine wichtige Rolle: als körniges Pigment, als reliefartig hervortretende Farbschichtung oder als verflüssigter Farbschleier. Im vorderen Teil des Kirchenraumes präsentiert die Künstlerin drei Kompositionen, die deutlich an der Natur inspiriert erscheinen und in ihrer Farbigkeit an eisblaue Winterlandschaften denken lassen. Hier ist der Einsatz der Farbe materialbetont. Leicht und flüssig, wie man Farbe eigentlich im Aquarell erwartet, legt sich Blau über undurchdringliches Weiß, und lässt dennoch die körnige Pigmentstruktur erkennen.

Für die Serie der (T)Raumlandschaften nimmt Catharina de Rijke die Materialität des Mediums Farbe zurück zugunsten der konzentrierten Fläche. Die Körperhaftigkeit der Farbe ist hier verschwunden. Dem thematischen Ausbau des Sujets ,Landschaft' entspricht somit in den komplexen Gefügen der (T)Raumlandschaften der adäquate Ausbau der Technik.


»Leicht und flüssig, wie man Farbe eigentlich im Aquarell erwartet, legt sich Blau über undurchdringliches Weiß und lässt dennoch die körnige Pigmentstruktur erkennen.«



Doch nun zurück zum Titel: (T)Raumlandschaften, dieser Titel mit in Klammern gesetztem T und groß geschriebenem R, verweist ebenso auf den Traum als Ausdrucksmöglichkeit der Seele wie auf den Raum, der sich panoramatisch zur Landschaft ausweitet: Mensch, Landschaft, Raum - der Ausstellungstitel verheißt Außen- wie Innenwelt. Catharina de Rijke bezeichnet diese (T)Raumlandschaften als „gemalte Assemblages". Unter Assemblage versteht man streng genommen raumplastische Materialbilder, also Werke, bei denen reale Gegenstände die Bildstruktur reliefartig erweitern. Diese Definition verblüfft angesichts der hermetischen Feinmalerei der (T)Raumlandschaften.

Besonders die vorherrschenden weißen Flächen und Segmente verraten kaum einen einzelnen Pinselstrich, sind so dicht, glatt und perfekt, dass einem der Atem stockt. Von der per definitionem geforderten Reliefstruktur einer Assemblage zunächst keine Spur. Der Blick auf das Einzelwerk mag hier weiterhelfen: In (T)Raumlandschaften I durchziehen zwei voneinander getrennte, deutlich an einem Landschaftserlebnis inspirierte, Farbfelder die Ruhe des Weiß.

Fast meint man aus Eisenbahnwaggonfenstern, in die durch die Horizontlinie begrenze Weite eines Landschaftsraumes zu blicken, antwortete da nicht eine transparente grünliche Fläche oberhalb der Fenster' dem landschaftlichen Grün, um dann strahlenartig nach links weiterzulaufen. Transparentes Grün und luzide blaue Bögen scheinen das Licht gefangen zu halten.

Ein Gedankensplitter: Im Nordgiebel der Herz-Jesu Kirche leuchten Blau und Grün in Bögen und Prismen artigen Flächen um die Wette – die Glasfenster von Jan Thorn-Prikker sind nichts anderes als Malerei mit Licht.

Zurück in die Realität des Bildes von Catharina de Rijke. Mit gewaltiger Farbkraft drängt eine satte und schwere rote Fläche von oben herab, durchzogen von dem schimmernden Bogen eines Gelb, kontrastiert von einem strengen senkrechten schwarzen Balken. Farben wie Formen treten in einen immanenten Dialog: Poetisches Weiß trifft auf majestätisches Rot, neutrales Grün auf kühlendes Blau, heiteres Gelb auf melancholisches Schwarz; die vehemente Senkrechte durchschneidet die elegische Waagerechte, schwungvolle Bögen geben den Impuls weiter an kippende Diagonalen. Gemalte Assemblagen: Das geforderte Relief entsteht hier nicht als haptische Realität, sondern als imaginäre. Landschaftsraum, Kirchenraum und Seelenraum verbinden sich fragmentarisch zu einer neuen Wirklichkeit. Der französische Dichter Charles Baudelaire beschrieb 1860 (in: Der Künstler und das moderne Leben) auratische Erlebnisse „als seltene und flüchtige Momente, in denen sich die äußere Welt in einem „mächtigen Relief“ darbiete, in einem Reichtum der Konturen und Farben." Angesichts der (T)Raumlandschaften von Catharina de Rijke mag man hinzufügen, dass dieser Reichtum nicht unbedingt einer Vielheit von Formen und Farben bedarf, sondern viel eher der Beschränkung auf das Wesentliche.

Wandert man nun von (T)Raumlandschaften I weiter zu (T)Raumlandschaften II, III und /V, so stellt man unweigerlich eine stetig steigende Konzentration der Farben und Formen fest, bei gleichzeitiger Reduktion der Bildgegenstände. Allen drei Kompositionen gemein sind die von unten anschwellenden roten Farbflächen, die unterschiedlich positionierten aufsteigenden Farbsäulen sowie die die Querformate durchziehenden grauen Farbstreifen mit schwarzen bzw. ockerfarbenen, nicht dechiffrierbaren Fragmenten. Während bei (T)Raumlandschaften II das gelblich-grün schimmernde Farbfeld oben rechts die pathetische rote Fläche aus (T)Raumlandschaften / ersetzt und an ein lichtdurchflutetes Raumgefüge denken lässt, weitet sich  in (T)Raumlandschaften III die Fläche zum Streifen und gibt ein weiteres architektonisches Assoziationsfeld frei. Konnte man bei (T)Raumlandschaften II den grauen Farbstreifen noch als Silberstreif eines landschaftlichen Horizonts auffassen, so versperrt nun der Farbstreifen bei (T)Raumlandschaften III als bildimmanente abstrakte Barriere den Zugang zur weißen Fläche.

Angekommen bei (T)Raumlandschaften IV scheint das Weiß gegen die übrigen Bildgegenstände den Sieg errungen zu haben. Der Farbstreifen, die Architekturfragmente, die Farbsäule - alles scheint in Auflösung begriffen zu sein bis auf das ungerührt lagernde Rot und die kühle Stille des Weiß.

Spätestens jetzt aber wird klar, dass diese Farbigkeit, dass jede der eingesetzten Farben ein Pendant im Kirchenraum findet und somit einen Hinweis auf die christliche Symbolbedeutung der Farben gibt: Unter anderem ist Weiß die Farbe der Reinheit und Unschuld, der Engel und der Gottesmutter, Rot die Farbe des Blutes, der Märtyrer, des Heiligen Geistes und der Apostel, Grün die Farbe des Lebens, Schwarz die der Trauer, Gold bzw. Gelb die Farbe des himmlischen Lichts.

Und apropos Licht: Die nunmehr in der Bildrealität etablierte Vorherrschaft des Weiß ist direkter Reflex auf die eigentümliche Lichtsituation des Kirchenraumes, der bei Tageslicht gleichermaßen durchlichtet wie verschattet erscheint. Dabei ist der Schatten nicht allein „Erinnerung des Lichts" (Robert Casati), sondern architektonisches Gliederungselement und Symbolträger. Der Schatten wartet sozusagen auf das Licht. Und in diesem Sinne mögen die Licht- und Schattenzonen des Sakralraumes wie des Bildraumes der (T)Raumlandschaften als geistige bzw. geistliche Elemente einer höheren Realität gewertet werden.

Ähnlich wie die Farben können auch die Formen symbolisch gelesen werden. Auffällig an allen (T)Raumlandschaften ist die Verschränkung horizontaler und vertikaler Elemente - sehr zurückhaltend und dennoch deutlich vorhanden zeigt sich das stärkste christliche Symbol: das Kreuz.

Und dies bleibt als formale Konstante auch in (T)Raumlandschaften V bestehen - als durchscheinender, alle Horizontalen durchschneidender vertikaler blauer Streifen -, obwohl nun ein landschaftliches Panorama mit Vehemenz in die Intimität des Weiß zurückgekehrt ist und die obere Hälfte der Komposition beansprucht. Die klare Drei-Zonen-Gliederung, mit dem abstrakten und doch emotional wirksamen roten Streifen, dem lichten Weiß des Mittelgrundes und der kristallinen Struktur der sich auftürmenden grauen Formationen, durchbricht der Rhythmus einander zugewandter Diagonalen sowie die feine Äderung graphischer Linien, die diesen Rhythmus ganz reduziert wieder aufnehmen.

(T)Raumlandschaften wahrnehmen, erkennen, erinnern, reflektieren. Catharina de Rijke hat mit dieser Serie eine Hommage an einen Ort geschaffen, der als Sakralraum Kristallisationspunkt von Mensch, Gott und Welt darstellt, eine Hommage einen Ort, an dem die Stille herrscht. Stille, die nicht aus der Abwesenheit von Tönen, Klängen oder Stimmen resultiert, sondern aus der Anwesenheit des Unnahbaren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.




Mark