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Europäische Landschaften –
Himmel auf Erde


2002


Dr. Romana Rebbelmund



Wo du auch bist III, 2002,
Acryl auf Leinwand, 40 x 60 cm





Die Ferien neigen sich ihrem Ende zu, und als Erinnerung an die schöne Zeit dient oftmals ein Foto. Eigenartigerweise, egal ob Berge oder Meer, gleichen sich diese Aufnahmen: Immer wieder sucht die Kamera (und somit natürlich auch das Auge) das landschaftliche Panorama, den Horizont. Der Horizont bietet dem Auge Halt inmitten der unendlichen Weite der Landschaft. In der Geografie beschreibt der natürliche Horizont die Linie, an der Himmel und Erde sich zu berühren scheinen. Das Eigentümliche dieses Horizonts liegt darin, dass er nur standort- und subjektgebunden wahrgenommen werden kann. Der Mensch ist immer umgeben vom Horizont, niemals außerhalb - oder, als Paradoxon beschrieben: Der Horizont begrenzt die Landschaft, ohne selbst Teil der Landschaft zu sein.

Damit ist das Phänomen “Horizont“ aber noch lange nicht erschöpfend beschrieben, denn seit Beginn der Neuzeit dient der Begriff als erkenntnistheoretische Metapher für die Möglichkeiten des Menschen: Der Mensch hat einen Horizont. Der menschliche Horizont und der landschaftliche Horizontdiese beiden Aspekte erschienen mir passend, Sie, verehrtes Publikum, in die heutige Ausstellung "Europäische Landschaften – Himmel auf Erde" mit neuen Werken der in Köln lebenden Künstlerin Catharina de Rijke einzuführen.

In der Tat: Neben der charakteristischen Farbigkeit dieser jüngsten Serie, einem ganzen Universum von Grün, beherrscht der immer wiederkehrende Eindruck einer Horizontlinie die Kompositionen. Obwohl die Formate variieren, baut die Künstlerin das einzelne Werk zumeist in horizontalen Farbfeldern auf und lässt im Aufeinanderprallen unterschiedlicher Farben den „Horizont“ entstehen – wie man beispielsweise an dem Gemälde „Erde“ gut nachvollziehen kann. Analog zur natürlichen Landschaft erscheint hier die Horizontlinie wahrer und konkreter als alle anderen Horizontalen. Die Horizontlinie weist als Thema der Landschaftsmalerei eine lange Tradition auf: Die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts unterscheidet sich von der Malerei anderer Nationen besonders durch den gewaltigen Raum über dem flachen Land. Jan von Goyen, Hercules Seghers oder Meindert Hobbema gelten als Meister solcher „Himmelschaften“, die ihren besonderen Reiz unter anderem eben aus der Horizontlinie gewinnen.

Catharina de Rijke nimmt diese Tradition des Horizont-Erlebnisses bewusst auf und verknüpft sie mühelos mit weiteren Traditionssträngen, wie die Gemäldegruppe „Panorama I bis III“ verdeutlicht. Der Titel „Panorama“ verweist auf eines der ersten Massenmedien, das im 19. Jahrhundert das Publikum begeisterte. Das Panorama, die All-Ansicht, ist eine landschaftliche Darstellungsform, die einen 360° Grad Ausblick wiedergibt. Hauptmotiv des Panoramas ist ebenfalls der Horizont, da sich der ständig wechselnde Fluchtpunkt im Raum zu einer tatsächlich durchgehenden Linie entwickelt. Ein berühmtes Beispiel solcher gemalten Panoramen ist Hendrik Willerm Mesdags „Panorama von Scheveningen“ von 1881 in Den Haag. Als monumentale Vedute in einer Art Sehkugel verdeutlicht das Panorama ein Modell und eine Idee der Welt.

In ihren großformatigen Panoramen führt Catharina de Rijke die Sehkugel auf das Medium der begrenzten Leinwand zurück und greift dennoch in den Raum über: Die Farbschichten treten partiell wie ein Relief krustig hervor und erobern die Ebene vor der Leinwand. Zudem erzeugen die bestimmenden Horizontalen ein Moment der Bewegung, die sich aber nicht schnell und hastig, sondern ruhig und fließend vollzieht. Die durch die Überlagerung der einzelnen Farbschichten gewonnene scheinbare Unschärfe vermittelt so den Eindruck eines Vorübergleitens, Dahinziehens. Dies erinnert an die heutige Erfahrung des beschleunigten Reisens durch Auto oder Flugzeug, bei der Natur und Landschaft wie ein Schleier am Fenster vorbeiziehen. Gerade hier wird aber auch deutlich, dass eben nicht eine bestimmte, konkrete Landschaft im Medium der Malerei illusionistisch wiedergegeben wird, sondern dass im Zentrum des künstlerischen Interesses eine Idee von Landschaft steht.


»(...) Die Farbschichten treten partiell wie ein Relief krustig hervor und erobern die Ebene vor der Leinwand.«




Landschaft als Tiefenillusion darzustellen, gehört seit Paul Cezanne und der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts der Vergangenheit an. ln der jüngeren Kunstgeschichte vollzieht sich die Tiefe der Landschaft in reduzierten Farbflächen. Diese Abstraktion führt überraschenderweise nicht zu einer Abkehr von der traditionellen Gattung der Landschaftsmalerei, sondern zu einer unverminderten Aktualität, indem Künstler der Natur im Kunstwerk eine neue Realität verschaffen.





Panorama II, 2002, Acryl auf Leinwand, 140 x 185 cm




So vermittelt die Komposition „Panorama II“ den Eindruck einer weiten, frischen, morgennebel­dampfenden Landschaft. Tatsächlich aber stoßen rein abstrakte Farbflächen aufeinander und gegeneinander, mal durchscheinend, mal pastos. ln unzähligen Überlagerungen wächst die Farbe empor – mal verführerisch feucht –schimmernd, mal schrundig-trocken. Das Wesen der Natur manifestiert sich in der dauerhaften Existenz der Acrylfarbe. Dieser Aspekt der Neuerschaffung der Natur betrifft ebenfalls die Horizontlinie. Catharina de Rijke weist der imaginären Linie eine unverrückbare Existenz innerhalb des jeweiligen Werkes zu. Das Paradoxon des Horizonts – die Landschaft zu begrenzen, ohne selbst Teil der Landschaft zu sein –verwandelt sich: Die in Farbe verankerte Linie ist nun konkreter Teil der Landschaft, die Landschaft selbst hingegen bleibt neutral und abstrakt.

Im Vergleich der einzelnen Arbeiten lässt sich außerdem feststellen, dass es ganz unterschiedliche „Horizonte“ gibt. Ein besonders klarer Horizont bestimmt beispielsweise die Komposition „Lost paradise“. Jedoch existieren auch verunklärte Horizontlinien, wie in den beiden Arbeiten „Wo du auch bist I“ und „Wo du auch bist II“, sowie der verlorene Horizont in der Komposition „The point of view“. Hier verzichtet Catharina de Rijke auf die Begrenzung durch die konkret teilende Linie. Sparsame Farbschwünge bieten dem Auge wenig Halt, irritieren; Landschaft löst sich auf in Farbfragmente -der Horizont liegt außerhalb des Gemäldes. Diese Unterschiede verweisen auf den im übertragenen Sinne menschlichen Horizont, also auf die Grenzen menschlicher Erkenntnis. Hybris und Verwirrung wären die Folge, fehlte dieser Horizont.





The point of view, 2002,
Acryl auf Leinwand, 50 x 40 cm




Als Horizont-Erweiterung im besten Sinne des Wortes erklärt sich so der erste Teil des Titels dieser Ausstellung: „Europäische Landschaften“. Die Realität des gemeinsamen Europas verkörpert sich als weitere Idee in der Farbe. Der menschliche und der landschaftliche Horizont: Diese beiden Begrifflichkeiten stehen geschichtlich gesehen in einer dualen Beziehung zueinander. Während der Terminus in der Antike zuerst auf astronomische Phänomene angewendet wurde, im Mittelalter auf den Menschen als Horizont geistiger und körperlicher Natur übertragen und schließlich zu dem heutigen Verständnis der ,Grenze der Erkenntnis' transformiert wurde, weist die Entdeckung der Landschaft sowie die Entwicklung der Landschaftsmalerei einen umgekehrten Weg auf. Der Mensch entdeckt zuerst sich selbst, bevor er seine Umgebung erkundet. Landschaft als zeitgenössisches Thema der Malerei lebt von eben dieser Dualität: Die Arbeiten von Catharina de Rijke künden immer auch von der Spannung zwischen Natur und Subjekt, berühren als ästhetische Systeme die Seele des Menschen.

ln der Serie „Europäische Landschaften – Himmel auf Erde“ beeindruckt jedoch nicht nur der Facettenreichtum des Themas „Horizont“, sondern auch ein ungeheures Spektrum der Farbe Grün: Zartes, schwebendes und frisches Grün, trockenes, zaghaftes Grün und ebenso sattes, nasses oder kühles Grün verweben sich in unterschiedlicher Dichte. Das Metathema Landschaft teilt sich durch die Farbe in unmittelbarer imaginativer Kraft mit. Das beherrschende Grün entfaltet seinen Zauber als Naturfarbe, als Farbe der Pflanzen und Vegetation. Man vermeint durch den variantenreichen Farbauftrag verschiedenartige Zustände der Natur ablesen zu können.


»(...) Zartes, schwebendes und frisches Grün, trockenes, zaghaftes Grün und ebenso sattes, nasses oder kühles Grün verweben sich in unterschiedlicher Dichte.«




Beispielsweise manifestiert sich in den Arbeiten „Im Laufe der Zeit II“ und „Coming“ der Eindruck eines trockenen, heißen Klimas, das nur spärlichen Bewuchs zulässt - erzielt mittels des Aufeinandertreffens der grünen Farbschichten mit rostfarbenen Partien sowie des partiellen Durchscheinens der Leinwand.

Die Werke „Wo du auch bist I“ und „Wo du auch bist II“ oder „Im Laufe der Zeit III“ und „Im Laufe der Zeit IV“ hingegen erinnern durch die breiten weißen Pinselschwünge an noch dampfende Morgennebelwiesen. Die satte, nasse Farbigkeit einer Küstenlandschaft im Frühsommer spricht aus „Morgendämmerung 1, Morgendämmerung II und Morgendämmerung III“. in enger Verwandtschaft zu der Gruppe ,Morgendämmerung' greift die Komposition „Das kleine Erwachen“ den Eindruck der kühlen Feuchte auf und überstrahlt diese mit zarthellen und leuchtenden Farbstreifen und Flächen: Die Essenz der Landschaft erwacht in Farbe.

Catharina de Rijke verwendet die Farbe Grün analog zu ihrer ursprünglichen Wortbedeutung: Der Begriff Grün entwickelte sich aus dem Wortstamm „Ghro“, der für wachsen, gedeihen steht. Diese ursprüngliche Analogie kann man im englischen „to grow“ heute noch gut erkennen. Das Grün wächst auf der Leinwand und verdichtet sich zu einer neuen Präsenz von Landschaft.

Mit Aktualität und Tradition, Ruhe und Bewegung, Abstraktion und Realität des Bildgeschehens erschafft Catherina de Rijke eine Bildwelt, die man im Cezanne'schen Sinne am besten als eine "Harmonie parallel zur Natur" bezeichnet. Eine Harmonie und Ästhetik, die aus dem konsequenten Arbeiten mit nur scheinbar Gegensätzlichem entsteht.

Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, die verdichtete Idee der Landschaft steht im Zentrum der heutigen Ausstellung „Europäische Landschaften – Himmel auf Erde“. Eine Idee, die sich Ihnen über die ästhetischen Varianten von Farbe und Form expressiv mitteilt. Im „sehenden Sehen“, das bedeutet im Sehen und Denken, erschließt sich Ihnen hier eine Bildwelt, die ganz sicher zu einer Horizonterweiterung führt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.




Mark